Typisch! Evangelisch (Heft 2/2016)

Seit fast zehn Jahren wird er nun aufpoliert, unser Luther. Seit nunmehr fast zehn Jahren wird hingearbeitet auf das 500. Reformationsjubiläum, genauer: die Erinnerung an den vermeintlichen Thesenanschlag Martin Luthers am 31. Oktober 1517 in Wittenberg, der gemeinhin zumindest in Deutschland als Geburtsstunde der Reformation im 16. Jahrhundert gilt.

Die Evangelische Kirche in Deutschland und mit ihr die Landeskirchen haben das bevorstehende Jubiläum intensiv vorbereitet: mit »Themenjahren« in der Lutherdekade, mit Aufrufen zu Reformprogrammen und der Inszenierung von Reformprozessen. Der Protestantismus sollte aufpoliert, erstarkt, profiliert werden. »Evangelisch« sollte erkennbarer und anziehender erscheinen für die engagierten Evangelischen, für die vielen in Studien ausgemachten distanzierten Kirchenmitglieder sowie für diejenigen, die der Kirche unentschieden, gleichgültig oder gar ablehnend gegenüberstehen.

Wo stehen wir jetzt, kurz vor dem Jubiläum? Wie steht es um das ›normale‹ Gemeindeleben inmitten der Förderprogramme für die Lutherstätten? Wo ist Reformatorisches zu entdecken als erneuernde Bewegung aus der Kraft des Evangeliums und nicht allein als institutionelle oder bauliche Restauration?

Wir wollten als Redaktion der Zeitschrift Praxis Gemeindepädagogik auch etwas beitragen zu der Bewegung. Wir hatten vor, Reformation ganz anders zu thematisieren – gemeindepädagogisch erneuernd, unkonventionell, revolutionär, irritierend. Wie viele andere das sicher auch in dieser Zeit vorhatten. Damit sind wir nicht weit gekommen. Die Erkenntnis war ernüchternd: Anstatt neuer Perspektiven, ungeahnter, irritierender revolutionärer Impulse und Methoden bleiben wir typisch evangelisch: Von allem ein bisschen, im Wollen mit den entscheidenden Ideen steckengeblieben, Vielfalt widerspiegelnd auf der Suche nach erkennbarem Profil genau dieses schuldig bleibend.

Stattdessen leisten wir es uns, die einleitende Meditation und einen Beitrag zum reformatorischen Schlüsselthema »Gerechtigkeit« von katholischen Brüdern schreiben zu lassen. Wir bieten unfertige Impulse und laden dezidiert ein zum offenen Dialog zur Frage nach dem, was die Kirche nach evangelischem Verständnis zusammenhält.

So polieren auch wir wie viele andere mehr oder weniger rührend am Lutherbild, polieren unseren Luther auf und werden seiner Rolle und Genialität keinesfalls auch nur ansatzweise gerecht. Aber das ist es vielleicht, das »Typisch! evangelisch«. Das ist vielleicht die Konsequenz aus der reformatorischen Einsicht der Gerechtigkeit aus Glauben. Das ist vielleicht das stärkste Profil des Protestantismus: Individuell und gemeinsam auf der Suche zu sein nach einem Leben mit Gott in Verantwortung gegenüber sich selbst, den Mitmenschen und der gesamten Schöpfung.